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Jüdische Ärzte - diskriminiert, stigmatisiert, vertrieben

Den Entlassungen aus dem Staatsdienst infolge des „Gesetzes zur Wiederher­stellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933, dem Entzug der Kassen­zulassung durch Verordnung vom 22. April 1933 und der Erschwerung der privaten Niederlassung folgte am 25. Juli 1938 der Erlass der Vierten Verordnung zum Reichsbürgergesetz. Diese Verordnung verkündete die „Bestallungsentziehung der jüdischen Ärzte“ zum 30. September 1938 und bedeutete das Verbot für jüdische Ärzte, ihren Beruf in Deutschland auszuüben. Mit der Entziehung der Approbation zum 30. September 1938 war dieser Vorgang abgeschlossen. Die Inschrift „Ab 1. Oktober 1938 werden nur jüdische Patienten behandelt!“ dokumentiert diesen Schlusspunkt. Sie stammt aus dem Jüdischen Krankenhaus in Berlin, das offenbar von der gesamten Berliner Bevölkerung besucht wurde und in hohem Ansehen stand.

Erblehre und Rassenkunde in bildlicher Darstellung, Alfred Vogel 1938

Praxisschild Dr. med. Israel Ernst Jacobsohn (bpk/Abraham Pisarek)

Im Juli 1938 waren unter den 6944 Ärzten Berlins noch 1561 jüdische Ärzte (22,4 %), unter den 2973 Kassenärzten waren noch 816 jüdische Kassenärzte tätig (27,4 %). Nach der Entziehung der Approbation erhielt lediglich eine kleine Anzahl der ausgebildeten (Fach-)Ärzte vom Reichsminister des Innern – in jederzeit widerruflicher Weise – die Zulassung zur Tätigkeit als „Krankenbehandler“. Dieser war ausschließlich zur Behandlung von Juden und der eigenen Familienangehörigen berechtigt. Es wird geschätzt, dass nach 1938 im gesamten Deutschen Reich noch rund 700 „Krankenbehandler“ tätig waren. Zu ihnen gehörten auch die 1891 geborene Röntgenologin Dr. Karola Reitlinger, die 1939 aus München emigrieren konnte, und der 1875 geborene Internist und Röntgenarzt Dr. Emil Hirsch, der 1943 im Gefängnis von Willich-Anrath zu Tode kam.

 

Das Ergebnis der Vertreibung der jüdischen Ärzte wurde von der Reichsärzte­führung wie folgt kommentiert: „Wir können stolz darauf sein, daß mit dem 1. Oktober 1938 die Ausschaltung des Judentums aus dem ärztlichen Berufe hundertprozentig durchgeführt ist. (...) Der deutsche Volksgenosse wird in Zukunft nur mehr durch den deutschen Arzt betreut werden.“

Im Reichsdurchschnitt waren im Jahr 1933 von den über 50.000 gemeldeten Ärzten etwa 11,6 % nicht „deutschblütig“. In Berlin, für das auch die Kassenärzt­liche Vereinigung Deutschlands (KVD) die „Überfremdung des ärztlichen Berufes“ und die „Verjudung der Ärzteschaft“ konstatierte, sah das Zahlenverhältnis anders aus: Fast 60 % der Berliner Kassenärzte wurden 1933 als „Juden“ stig­matisiert. Die hohe Gesamtzahl an jüdischen (Kassen-)Ärzten ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen. Hier ist besonders auf die Funktion Berlins als Reichshauptstadt hinzuweisen, die, wie andere Großstädte auch, aufgrund der Bevölkerungsdichte als Niederlassungssitz für (Fach-)Ärzte aller Art besonders attraktiv war.

Deportation jüdischer Männer nach der Reichspogromnacht am 10. November 1938

(bpk/Bayerische Staatsbibliothek, Archiv Heinrich Hoffmann)

„Ab 1. Oktober 1938 werden nur jüdische Patienten behandelt!“,

Elkin, Rivka: „Das Jüdische Krankenhaus muß erhalten bleiben!“

Das Jüdische Krankenhaus in Berlin zwischen 1938 und 1945.

Hg. v. Förderverein „Freunde des Jüdischen Krankenhauses Berlin e.V.“, Berlin 1993, S. 23

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